Die unerklärliche Angst vor Daten im Marketing
Heute morgen lese ich in One-to-One, dass gerade einmal 38 Prozent der Marketingverantwortlichen auf Datenanalysen und Marketing-Automation setzen. Woher kommt die Angst vor den Fakten, den Wahrheiten, die hier zur Verfügung stehen und eigentlich helfen sollen, Marketing und Vertrieb gemeinsam nach vorne zu bringen? Eine Einschätzung aus der Erfahrung im tagtäglichen Umgang mit B2B-Marketing.
Meine Erfahrungen habe ich aus zahlreichen Akquise- und Beratungsgesprächen, aus der täglichen Arbeit und dem Austausch mit Kollegen.
1 Das 50+-Problem
Die Einführung neuer Technologien, Systeme und damit einhergehender Prozesse ist teuer, kostet Zeit und verändert in vielen Fällen auch vorhandene Projekte. Und genau hier stehen die Verantwortlichen im Marketing vor der ersten Herausforderung.
In der Mehrzahl der Unternehmen hat die Geschäftsleitung die 50 hinter sich und ist schon entsprechend lange „im Business“. Aus dieser Erfahrung entsteht Wissen, manchmal Weisheit, oft aber nur eine gewisse Überheblichkeit. So fallen Sätze wie, „damit haben wir seit 20 Jahren Erfolg!“, oder „wir müssen nicht digitalisieren, weil unsere Prozesse funktionieren auch so“, gerne auch „was soll ich mit den Daten anfangen, die sagen mir doch nicht, was meine Kunden wollen!“
Es handelt sich hier durchweg um Zitate aus Diskussionen mit Geschäftsführenden, die sich mit der Einführung neuer Technologien oder der Erweiterung der Kommunikation beschäftigten.
Problem hier: Machtgehabe und Angst vor dem eigenen Unwissen verführen Führungskräfte gerne zu einer grundsätzlich ablehnenden Haltung gegenüber Dingen, die sie selbst nicht mehr verstehen können.
Es gibt hier keine Lösung außer den langen Weg, mit viel Argumentation und Zeit. Ich habe hier schon zwei Jahre ins Land gehen sehen, bis eine entsprechende Marketing-Automation bestellt wurde, weil die Geschäftsleitung einfach nicht entscheiden wollte.
Problem hierbei: die Marketing-Verantwortlichen laufen sich oft die Hacken ab, geben frustriert auf und suchen sich ein anderes Unternehmen. Damit startet der Prozess mit neuen Verantwortlichen und damit auch in vielen Fällen neuer Agentur, während der Markt und die Mitbewerber vorbeiziehen.
2 Das „Marketing ist nicht wesentlich für unseren Erfolg“-Problem
Eigentlich könnte man dieses Problem auch an die erste Stelle stellen, gilt doch das Marketing in vielen Unternehmen eher zu den Abteilungen, die für alle anderen Dienstleistungen erbringen, selbst aber keinen wirklichen Wert fürs Unternehmen haben. „Marketing? Das sind doch die, die für uns immer die Kugelschreiber bedrucken lassen und die Messestände bauen.“, auch das ist sinngemäß die Einstellung vieler Entscheider und Vertriebsverantwortlicher, wenn es um die Bedeutung des Marketings für das eigene Unternehmen geht.
Gut, jetzt könnte man anführen und das nicht zu Unrecht, dass das Marketing an diesem Image nicht ganz unschuldig ist. So positionieren sich die wenigsten Marketing-Teams als strategische Komponente der Unternehmenskommunikation, dagegen oft als „die Lustigen und Kreativen aus dem Marketing“.
Neben der selbst-gemachten Degradierung, ordnen viele Unternehmen das Marketing auch neben und in vielen Fällen unter dem Vertrieb an. Nur wenige wagen es, die Marketingabteilung über dem Vertrieb anzuordnen und verfehlen so ein klares Bekenntnis zu deren strategischen Bedeutung.
Der Weg aus dieser Situation kann eigentlich nur von „Oben“ kommen, von der Geschäftsleitung. Diese muss sich klar zum Marketing bekennen und in diesem Kontext auch Angriffe von Seiten Vertrieb oder Produktmanagement in die Schranken weisen.
3 Das „Wir schaffen die Einführung nicht“-Problem
Haben es Agentur und Verantwortliche bis an diese Stelle geschafft, alle Entscheider überzeugt, den Vertrieb mit ins Boot geholt und anhand ausführlicher Daten den Nutzen einer Marketing-Automation bewiesen, stehen als „Endgegner“ die schwierigsten Hürden einer erfolgreichen Einführung im Weg: die Techniker und IT-Verantwortlichen.
Hier haben sich die Verantwortlichen in den Abteilungen in den letzten Jahren, wie man es nennt: „so tief eingegraben, dass man sie nicht mehr herausbekommt“. Das bedeutet, dass in den Kernbereichen Technologien monolithisch eingeführt wurden, die scheinbar unveränderlich und ehern in der Landschaft des Unternehmens stehen.
Dazu gehören ERP-Systeme wie SAP oder die gesamte Microsoft-365 und -Dynamics Suite. Mit dem Argument, dass etwa Microsoft Dynamics eingeführt wurde, um im Vertrieb das CRM zu nutzen, besteht nach Meinung der Verantwortlichen und das sind ja die Leute von der IT, die man besser nicht verärgert, keine Notwendigkeit hier noch weitere Lösungen anzuschaffen. Übersehen wird leider zu oft, dass die eingesetzte Lösung nicht für die Anforderungen des Marketing optimiert ist. So fehlen häufig Datenfelder oder Prozesse, stehen Listen im falschen Kontext oder verhindern Zugriffsrechte einen produktiven Umgang mit der Lösung.
Neben den reinen IT-lern stehen oft auch die CRM-Verwalter Veränderungen im Weg. Die Gründe hierfür sind verschieden, so offenbart eine externe Anbindung bisweilen, dass über Jahre eine chaotische Datenhaltung gepflegt wurde oder es zeigt sich, dass die Halbgötter am Keyboard vielleicht doch nicht so viel Know-how besitzen, wie sie gerne intern kommunizieren.
Hinzukommen externe Dienstleister, die um die einmal erkämpften Budgets fürchten und schon vorneweg Schreckenszenarien aufbauen, die im Falle eines Systemwechsels drohen. So habe ich es schon in Diskussionen erlebt, dass der Typo3-Dienstleister sich vehement gegen die Marketingautomation von HubSpot aussprach und hier im Hintergrund alle möglichen Strippen gezogen wurden, nur um eine Erweiterung der bestehenden Landschaft zu verhindern und das eigene Budget zu sichern.
In diesem Szenario zu bestehen, erfordert auf Seiten des Marketing entsprechendes Know-how und Durchhaltevermögen. Als Dienstleister, der eher als kreativ-strategisch angesehen wird, ist es ebenfalls von Vorteil, detaillierte Kenntnisse über Technologien und Prozesse mitzubringen, um nicht gleich in der ersten Runde auszuscheiden.
Ist diese letzte Klippe umschifft, steht der Realisierung eigentlich nur noch die typisch deutsche Abneigung gegenüber Veränderungen im Weg. Aber das schaffen wir auch noch.
Denn, wie die Studie zeigt, ist gerade der DACH-Raum noch stärker in seiner Zurückhaltung gegenüber neuen digitalen und socialen Veränderungen. Wenn ich dann die Mär von der DeIndustrialisierung höre, fällt mir nur ein: Selbst Schuld!
Was meinen Sie? Freue mich auf Ihre Kommentare zum Thema.